Düsseldorf (RPO) Deutschlands populärster Sänger Herbert Grönemeyer ist in der Düsseldorfer Esprit-Arena aufgetreten. Der 55-Jährige gab ein begeisterndes Konzert vor 34.000 Menschen.
Das letzte Drittel dieses fabelhaften Abends hat soeben begonnen, als man begreift, warum dieser Künstler groß ist – als man es zu durchschauen meint: das Prinzip Grönemeyer. In der besten Phase des Konzertes lässt der 55-Jährige das Licht dimmen, er beginnt seinen Hit „Bleibt alles anders“ von 1998 a cappella, er steht einsam im Dunkel, auf einem Steg in Kopfhöhe des Publikums, im Schein einer Funzellampe. Er reimt die Signalworte seines Lebenswerkes, „Traum“ und „Zeit“ und „Raum“, dann rollen wütende Gitarren über das Lied hinweg, wuchtige Beats prügeln darauf ein.
Das Licht geht an, es blendet, das Stroboskop peitscht die 34.000 in der Düsseldorfer Esprit Arena mit grellen Hieben. Grönemeyer streckt die Arme aus, er zuckt unter den Blitzen, aber er reicht allen die Hand ins Chaos, allen und also uns, er öffnet seine lyrische Hausapotheke und behandelt die Gemarterten mit populärphilosophischem Balsam: „Es gibt viel zu verlieren, du kannst nur gewinnen / Genug ist zu wenig, oder es wird so, wie es war / Stillstand ist der Tod, geh voran, bleibt alles anders / Der erste Stein bricht aus der Mauer, der Durchbruch ist nah.“
Jeder säuft den süßen Sud, und wer zweifelte, an sich oder an irgendwas, der fühlt sich plötzlich erhaben, der ist seiner selbst gewiss, ist sicher und geborgen. Wir-Gefühl, Hiersein, alles gut. Mehr kann Rockmusik nicht erreichen.
Grönemeyer ist Grönemeyer nur live. Songs, die im Wohnzimmer verloren im Raum stehen, entfalten in der Arena ihre Wirkung. Sie wollen atmen. Grönemeyer eröffnet die zweieinhalb an Zugaben reichen Stunden mit den aktuellen Stücken „Schiffsverkehr“, „Kreuz meinen Weg“ und „Fernweh“. Er treibt die Lieder mit hoher Geschwindigkeit von der Bühne, die mit ihren fünf Masten und den wie Segel angeordneten Monitoren an ein Schiff erinnert. Der Sound stimmt zu diesem Zeitpunkt noch nicht, die Musik der an sich wunderbaren neunköpfigen Band rennt unkontrolliert gegen das Dach der Halle, man versteht kaum den Text.
Das Publikum, das zumeist mit Golf plus und 3er-BMW angereist ist, zögert. Grönemeyer schaufelt Hit um Hit in die Halle, er heizt die Kessel, bringt „Halt mich“, „Bochum“, „Musik nur, wenn sie laut ist“, dann hat er sie: Sie heben die Hände, die Bühne treibt im Meer der Zuschauer. Grönemeyer variiert die Stimmung, man ist gerührt, wenn er am Klavier „Stück vom Himmel“ spielt, und man kriegt schwer Luft, wenn er „Männer“ ins Metal-Inferno führt: zwei Schlagzeuger nehmen sich den Klassiker vor, zwei Gitarristen schneiden ihn in Scheiben. „Alkohol“ wird sodann zum Free Jazz, „Deine Zeit“ über Grönemeyers an Alzheimer erkrankte Mutter ist das Memento Mori im Stahlbad des Amüsements.
Grönemeyer trägt Anzug, „zum ersten Mal“, kokettiert er, „gehört sich ja so in Düsseldorf“, dazu Turnschuhe von Adidas. Nach einigen Liedern ballt er die Faust, manchmal macht er Tanzschritte, die stets mehr Schritt als Tanz sind. Er sagt, die USA hätten die Taliban selbst in Afghanistan angesiedelt, bevor er das Kriegsstück „Auf dem Feld“ anstimmt. Er ist Rumpelstilz und Kumpelkerl, Spintisierer und Phantast, Kasper und Könner, der Zechen-Sinatra aus der großen Welt.
Auf den Monitoren laufen Einspielfilme, die Grönemeyer schlafend zeigen oder als Seebär in Ölzeug. Ausgedacht hat sich das Grönemeyers Kumpel, der Fotograf und Regisseur Anton Corbijn. Ein zurückgenommenes, doch immens effektives Bühnenambiente. Grönemeyer kennt den Weg zum Schalter an Volkes Seele, er kann ihn umlegen und machen, dass du nachdenkst, lachst, Energie tankst – wie er will.
Der Höhepunkt ist das geheime Lied der Deutschen, „Mensch“ von 2002. „Und der Mensch heißt Mensch / Weil er vergisst /Weil er verdrängt / Und weil er schwärmt und stählt / Weil er wärmt, wenn er erzählt / Und weil er lacht / Weil er lebt /Du fehlst.“
Diese Zeilen sind der Haupttext im Lesebuch für den deutschen Gegenwartsbewohner, der Urmeter momentanen Befindens, und Grönemeyer singt sie mitten im Publikum, er legt das Lied als Soulnummer an, Soul wie Seele, und als danach der Jubel nicht enden mag, gibt er eine „Mensch“-Zugabe mit lateinamerikanischer Note: „Es ist Sonnenzeit“.
Mensch Herbert. Mensch, Herbert. Gigant.