Raphael
von Regensburg nach Budapest, quer
durch London, oder -mal eben nach Oxford
Raphael ist zäh, treu und zuverlässig! Als ich mit der Idee
schwanger wurde, den Weg nach Oxford mit dem Radel zurück zu legen
(denn mit mußte er!) wurde ich gewarnt, in England seien die Straßen
so schlecht, mit mehreren Speichenbrüchen müßte ich unbedingt
rechnen. Und das sollte er nun drei Monate überleben.
Allen Unkenrufen zum Trotz, die zwei für die Tour gekauften Ersatzspeichen
zieren bis heute seine Luftpumpe.
Hinweg mitte September, weil die Zeit knapp war wurde auf der Fähre
übernachtet. Der Wind kommt immer von vorn und die zwei Tage durch
Holland blies er recht heftig, so heftig, daß mein Vater befürchtete,
die Fähre würde vielleicht nicht auslaufen. Teilweise stand ich
in der Pedale und kam trotzdem nicht voran. Aber wir kamen mit genügend
Reserve in Hook van Holland an und die Fähre lief planmäßig
aus. Nur geschaukelt hat es sehr. Wie gesagt, Raphael ist ein zäher
Bursche. Laut Fahrplan sollten wir um 9 Uhr in Harwich anlegen. Wir waren
aber schon früher da, bei spiegelblanker See und strahlendem englischen
Sonnenschein. Trotzdem ließ ich mir mein Frühstück nicht
nehmen und so war ich dann auch "last person". Schon beim ersten Kreisverkehr
stellte ich fest, daß die Hinweise auf den Linksverkehr in England
durchaus ihren Sinn machen, denn ich fuhr prompt rechts. Aber man gewöhnt
sich, zurück ist viel schlimmer, weil man sich nicht mehr konzentriert.
Der englische Verkehr ist auch nur halb so schlimm, so viel Gepäck
beeindruckt die Engländer doch mächtig, so daß sie brav
Abstand halten. Nur auf das Wetter war ich wirklich nicht eingestellt.
Die erste Etappe Chelmsford ist viel zu schnell erreicht. Macht nichts,
dann kommen wir nicht so abgekämpft im College an. Bei meiner Gastgeberin
und ihren vier Pudeln fühle ich mich auch glaich wohl und fast wie
zu Hause. Sie fragt mich natürlich nach meinen nächsten Zielen
und ruft ganz entsetzt aus "Luton! Why Luton?" - "well, because it's half
the way to Oxford" :) und damit ist sie auch gleich versöhnt.
Auf dem Weg nach Luton besorge ich mir schleunigst eine Sonnenbrille.
Warum habe ich auch daran nicht gedacht und zwischen meine Winterhandschuhe
(wir kehren ja erst Weihnachten zurück ) und meine Regensachen (England!!!)
keine Sonnenbrille gepackt? Es nützt nicht viel, in Luton sind meine
Augen entzündet und fast zugeschwollen. Oder liegt es daran, daß
in England das Wasser gechlort ist? Weiter geht es, am nächsten Tag
wollen wir in Oxford sein. Schon Mittags sind wir da. Meine Augen sind
zwar besser aber noch nicht gut. Prompt werde ich gefragt "are you tired
- was it a long jouney?" "Oh yes, 5 days" "5 DAYS!!! did you walk?" - "
no, I cycled"... und schon war ich bekannt wie ein bunter Vogel. Wir sind
so früh, daß wir nach einer kurzen Zimmerbesichtigung im Labor
vorbeischauen. Dort hat sich die Nachricht von unserer Ankunft schon längst
verbreitet. The girl who cycled from Germany!
Halb so wild, es waren ja recht kurze Etappen.
Von Oxford unternehmen wir natürlich auch Ausflüge in die
Umgebung, Blenheim Palace, Rollright Stones, Banbury und natürlich
the "vale of white horse". Auf der Suche nach den weißen Pferden
vergessen wir die Zeit und plötzlich setzt die Dämmerung ein
und wir sind 80 km entfernt von Oxford. Jetzt aber sputen und die Kräfte
gut einteilen denn England ist nicht eben flach. Aber das größte
Problem ist im Dunkeln die Karte zu lesen. Zum Glück habe ich wenigstens
eine Taschenlampe dabei und tatsächlich erreichen wir kurz nach 1
das College.
Langsam wird es Zeit, an die Rückreise zu denken. Ich erkundige
mich, ob und wie ich ein Rad im Zug mitnehmen kann, kein Problem. Nur in
London darf ich die Underground nicht benutzen um von Victoria nach Paddington
zu gelangen. Aber dafür hab ich ja Raphael dabei, radeln wir eben.
Der Verkehr in London ist allerdings mit dem Verkehr im übrigen England
überhaupt nicht zu vergleichen, es gibt keine Radwege, die Autos fahren
in drei Spuren nebeneinander und nehmen auf Radler keine Rücksicht.
Die Fahrt quer durch London dauert etwas länger als die geplante Stunde
aber wir erreichen unseren Zug nach Harwich und auch die Fähre nach
Oostende. Nur die Zollabfertigung haben wir irgendwie verpasst.
4 Stunden Überfahrt, Raphael steht wieder sicher angebunden zwischen
den Motorrädern und LKW und ich vertreibe mir die Zeit. In Holland
geht unser Zugticket nur bis Venlo, den Rest zur Grenze radeln wir durch
den holländisch milden Winter und sind pünktlich zu Weihnachten
wieder zu Hause. Das ist Raphael, zäh, treu und zuverlässig.
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